von Werner Leuthner, Villingen
Nicht dass Sie meinen, ich würde meine Zeit mit Unterhaltungssendungen totschlagen. Aber da hatte ich mir doch einmal „Verstehen Sie Spaß…?“ angesehen.
Zum Schluss dieser Sendung meinte eine Teilnehmerin beiläufig, dass es mit dem Spaß bald vorbei wäre. Sie habe aus verlässlicher Quelle gehört, dass sich ein großer Meteorit der Erde nähere und dass im Falle einer Kollision alles Leben ausgelöscht würde. Noch hoffe man, dass dieser Himmelskörper an der Erde vorbei schrammen werde. Ganz knapp – aber allein dieser Beinahe-Zusammenstoß würde immensen Schaden anrichten. Die Mehrheit der Fachleute glaube allerdings, dass die Anziehungskraft der Erde diesen Meteoriten direkt auf uns lenke.
Der Redebeitrag der Teilnehmerin ging im Tumult unter. „Panikmache“, „Gelogen!“, „Ohne jegliche Evidenz!“ hörte man, aber auch: „Warum erfährt man dies erst jetzt?“ oder „Was tut die Regierung, um uns zu schützen?“
Ich gebe zu, dass ich skeptisch war, mehr als skeptisch.
Jedenfalls war das Thema jetzt öffentlich. Bekannt war es offensichtlich bei Astronomen, doch diese waren, so munkelte man, von allen Regierungen zu Stillschweigen verpflichtet worden. Dies sei eines der wenigen Male gewesen, in der die in der UN zusammengeschlossenen Staaten an einem Strick gezogen hätten. Bei dieser drohenden inter-galaktischen Katastrophe wolle man die Normalität so lange als möglich aufrechterhalten.
Eleonore Wattenfeldt, so hieß die Teilnehmerin der Spaß-Sendung, die das Ungeheuerliche öffentlich gemacht habe, anvancierte zur gefragten Interviewpartnerin. Die Quelle ihrer Information dürfe sie nicht benennen. Aber sie wisse einen Ausweg – nicht für alle, aber für Auserwählte.
Andere mögen sich mit Elon-Musks Raketentaxis „Space-Trail“ auf irgendeinem unwirtlichen Himmelskörpern absetzen lassen.
Und ganz Verzweifelte könnten ja das Angebot einer Sterbehilfe-GmbH nutzen, der den massenhaften Exitus organisieren wolle, natürlich gegen Gebühr. (Schlappe 20.000,- Euros würden diese verlangen. Entsorgung inbegriffen.) Sie warben mit dem Slogan: „Wenn Sie nicht verglühen wollen – entschlafen Sie mit uns!“ (Und dabei wollten diese FINITO-Leute die Impfzentren nutzen, die von der letzten Pandemie noch vorhanden waren).
Eleonore Wattenfeldt und ihre Getreuen würden auf der Erde bleiben, genauer gesagt in der Erde, in den Slowenischen Karsthöhlen.
Sie sei Heilerin und Seherin. Schamanin. Sie wolle die Schar ihrer Getreuen vor der nahenden Katastrophe retten. Wer sich berufen fühle, sich ihrem spirituellen Weg anzuschließen, möge sich melden. Und Mitglied ihrer Bewegung „Gaia. Im-Bauch-der-Erde“ werden.
Da die Ausgestaltung dieses unterirdischen Refugiums erhebliche Kosten erfordere, müssten Interessenten über genügend Mittel verfügen. Allein die Vorräte würden Unsummen verschlingen. Aber, das betonte sie immer wieder, es komme auf die innere Einstellung an. Denn die durch sie Geretteten seien dann die Auserwählten, die die NEUE ERDE aufbauen würden.Nun konnte die Regierung das Thema nicht mehr unter dem Deckel halten. In allen Boulevard-Zeitungen, den Social-Media-Kanälen und selbst in Wissenschaftssendungen wurde über diese kommende Katastrophe berichtet.
In einer vom Fernsehen übertragenen Regierungserklärung ließ Kanzler Söder verlauten, es bestehe nicht der geringste Anlass zu Panik. Die Industrienationen würden gemeinsam eine Rakete starten, die, gefüllt mit Atomsprengstoff, den Meteoriten ansteuere. Die Mega-Explosion würde diesen Himmelskörper auf eine andere, für uns ungefährliche Bahn abdrängen.
Die Bundespräsidentin Thekla Kraut-Schottenhammel beschwor die Bürgerinnen und Bürger, Ruhe zu bewahren. Sie wandte sich ausdrücklich auch an die queer-Community und alle weiteren Formen. „Alles wird gut“, wiederholte sie mantra-mäßig bei jedem Auftritt.
Und der Sprecher des Ministeriums zur Pflege der Öffentlichen Meinung beschwichtigte bei allen Nachrichtensendungen.
Größten Zulauf hatten die überall aus dem Boden schießenden Hedonistenclubs. Mittels psychedelischer Drogen versprachen sie bereits jetzt den Einblick in eine schönere Welt. (Ein Trip war bereits für einen Fuffi zu haben – die Zehnerkarte für vierhundert). Die Behörden griffen nicht ein.
Nachdem der Einfluss der Kirchen sowieso schon zurückgegangen war, versammelten sich nun die letzten Gläubigen zu Gebetsmarathons. Nur uns Betern kann es gelingen, das drohende Unheil abzuwenden, hieß es.
Keiner der bekanntgewordenen Auswege sprach mich an. Mit meinem Freund Otto diskutierte ich über diese Bedrohung. Ottos Urteil war mir wichtig. Er hatte Physik und Chemie unterrichtet und war jeder Spekulation im naturwissenschaftlichen Bereich abhold. Denn sollte dieses Szenario stimmen, wäre jede Flucht zwecklos, meinte Otto.
Dann platzte die Bombe. Ein Mitglied des Chaos-Computer-Clubs hatte zusammen mit investigativen Journalisten von der Süddeutschen Zeitung und dem Spiegel aufgedeckt, dass Trumps Presseagentur „True News“ zusammen mit dem russischen Geheimdienst dieses Katastrophen-Szenario lanciert hatten. Weltweit! Einfach unglaublich.
Otto öffnete eine Flasche Schampus: „Wir können weitermachen! Wir machen weiter! Prost!“
„Prost!“, erwiderte ich, „Die ‚Querdenker‘ haben dieses eine Mal recht behalten. Gott sei Dank!“
© WL
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