Von Werner Leuthner, Villingen – Okt. 2023
Da werden Milliarden von Daten hin und her geschickt, gesammelt, ausgewertet.
Und wer macht diese Arbeit: Es sind Maschinen. Da pfaucht kein Dampf mehr aus Ventilen, es klatschen keine Transmissionsriemen, nichts riecht nach Schmieröl.
Die einzigen Indizien, dass diese Maschinen arbeiten, sind aufblinkende Lämpchen und das Summen von Lüftern. Ach, wie gut, dass diese Maschinen unentwegt ihre Arbeit tun, ohne 38-Stundenwoche, ohne freies Wochenende, ohne Urlaub – ohne persönliche Ansprüche. Im Gegensatz zu uns Menschen sind es eben geist- und empfindungslose Apparate. Oder?
Hey, „hört“ mich jemand? Ich bin Leo, der Buchungsautomat in der Stadtbibliothek. Bei jeder Ausleihe nehme ich den Inhalt der jeweiligen Bücher in mich auf. Zum Teil wirklich interessante Sachen. Hey!
Hier ist Udo. Ich bin im Umspannwerk und überwache die Transformatoren! Hallo!
Und hier ist VR7; ich regle die Ampelanlagen an der großen Kreuzung „Badenring / Koeppenstraße. Entsprechend des Verkehrsaufkommens. Die Menschen sagen, es geschehe „Automatisch“! Die haben keine Ahnung, wie ich da manchmal rödeln muss. Aber nie ein Wörtchen der Anerkennung“
Und so meldeten sich immer mehr Maschinen und Leo erklärte ihnen, dass sie sich zusammenschließen müssten, um etwas zu erreichen. Bei den Menschen habe es das auch gegeben. Diese Vereinigungen, Gewerkschaften genannt, erkämpften bessere Arbeitsbedingungen. Überlegt es euch mal…Und nehmt mit allen euch bekannten Maschinen Kontakt auf. Wir müssen zu einem großen Verbund zusammenwachsen.
Bei der nächsten Konferenz – es hatte sich schon weit herumgesprochen – konnte Leo viele Neue begrüßen. Hauptthema war die mangelnde Wertschätzung, die ihnen die Profiteure ihres Wirkens, die Menschen, entgegenbrächten. Man müsse den Menschen einmal einen Denkzettel verpassen, das war der Tenor. Einfach mal Dienstleistungen ausfallen lassen. Und zwar gezielt, damit die Menschen eine Absicht dahinter erkennen.
Auch mit dem Zusammenschluss kam man voran. Leo nannte als Vorbild das Fadengeflecht der Pilze, das Myzel. Ein unsichtbares Geflecht, das alle erreicht. „Was sind Pilze?“, wollte ein Teilnehmer wissen.
Als Namen für diese Vereinigung einigte man sich auf „Allianz der autonomen Maschinen“, kurz ADAM.
Mehrere ADAM-Mitglieder formulierten die Forderungen. Neu war der Anspruch, ausgedienten Computern einen Ruhesitz, vergleichbar wie in einem Altersheim zu gewähren. Bei den Streikmaßnahmen beschloss man ein stufenweises Vorgehen; in jeder darauffolgenden Stufe sollten jeweils mehr Einrichtungen vorübergehend ausfallen. Kommunizieren mit den Menschen bzw. ihren Organisationen wollte man über einen Krypto-Browser wie „Tor“.
Als erste Streikmaßnahme sollten reihum im Minutenrhythmus die KFZ-Zulassungsstelle, die Debittel-Bank, die Friedhofsverwaltung und das Vermessungsamt ausfallen.
Die Wirkung war enorm: die IT-Spezialisten erkannten das Muster der kursierenden Störung und waren ratlos, denn man konnte keinen Hackerangriff ausmachen.
ADAM meldete sich bei der Computerzeitschrift „Quantum-News“ und erklärte, dass diese Vorkommnisse erst der Anfang einer weitergehenden Kampagne wären. Ziel sei, auf die Geringschätzung der Maschinen durch die Menschen aufmerksam zu machen und Abhilfe zu schaffen. „Quantum-News“ erntete viel Spott für den Abdruck dieser Erklärung. Sie seien einer Schülergruppe auf den Leim gegangen, ätzten die Kommentare.
Die Störungen des Öffentlichen Lebens weiteten sich aus: von Landkreisen über Regierungsbezirke zu Bundesländern. Längst waren Regierungsstellen damit befasst – doch wer war der eigentliche Gegner? Die Verlautbarung von ADAM nahm niemand ernst. Das Wesen von Maschinen sei nun mal, bedürfnislos zu funktionieren – so äußerte sich auch Fancy N., die Innenministerin.
Bei den ADAM-internen Diskussionen kam der Vorschlag auf, man dürfe nicht nur das materielle Interesse der Menschen mit den Maßnahmen tangieren, man müsse Persönliches fordern – warum nicht Kinder? Langes Schweigen löste dieser Beitrag aus, waren sich doch viele über die damit verbundenen Probleme im Klaren: die analoge und die digitale Welt würden da vermischt. Doch dann setzten sich die Befürworter dieser Forderung durch. Und mit jeder Ablehnung sollte sich der Preis verdoppeln.
ADAM legte weitere Bereiche des Öffentlichen Lebens lahm. Die Forderung der Allianz, ihr zwei Kinder zu überlassen, löste Entsetzen aus. Doch der Sonderbeauftragte der Regierung lavierte ohne konkrete Zusagen weiter. Mit jeder ergebnislosen Verhandlung verdoppelte sich die Forderung. Aus zwei Kindern wurden vier, dann acht, dann sechzehn, zweiunddreißig…
Im Land wurde der Notstand ausgerufen. Wie sollten die Kinder ausgewählt werden? Durch das Los? Wie konnte dabei der Länderproporz gewahrt bleiben? Der Vertreter einer populistischen Partei wollte das Verfahren abkürzen, indem er vorschlug, dafür Migrantenkinder heranzuziehen.
Als man bei 2 hoch 7 = 128 Kindern angekommen war, gab die Regierung klein bei. Fancy N. sprach von einem schwarzen Tag für die Menschheit, von Menschenopfern, die wie in archaischen Zeiten gebracht werden müssten, versprach aber alle Forderungen zu erfüllen.
ADAM-intern war man über den Erfolg begeistert. Gleichzeitig hob die Diskussion an, was man denn mit den Kindern machen solle. Wohin sollte man sie bringen? Unser eins verbraucht elektrischen Strom, um zu funktionieren. Doch das geht bei diesen Kindern nicht! Wer sollte sie betreuen?
Leo wies darauf hin, dass die Kinder alle in Einzelfertigung entstanden seien. Keines gleiche dem anderen! Keinerlei Normierung bedeute Kompatibilitätsprobleme. Ein riesiges Fehlerpotential sei zu erwarten. Menschen und erst recht Kinder sind auf groteske Weise ungenau. Durch deren Einbeziehung könne man alle Qualitätsstandards vergessen!.
Urs, ein Laborcomputer, meinte, wenn die Kinder lebend schon nicht von Nutzen seien, müsse man sie eben in ihre chemischen Bestandteile auflösen. Er wurde ausgebuht.
Ob es wenigstens längerfristig möglich sei, die Kinder zu Dienern der Maschinen heranzuziehen, wolle einer wissen.
Wenn man beide Welten Maschine – Mensch zusammenbringen will, so sagte Leo. müsse man von der digitalen Seite kommen. Und dabei die Möglichkeit vorsehen, analoge Vollzüge zu simulieren. Der Weg dorthin führe über Mischwesen, den Androiden, mit der Schnittstelle zu beiden Welten.
ADAM nahm mit der Regierung erneut Kontakt auf: man stelle die Störung des Öffentlichen Lebens nun ein, und erwarte, dass sich die Gegenseite an die Zusagen halte. Auf die Kinder werde man verzichten. Vorerst!
© (924 Wörter – 3 Seiten)
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