von Hartmut Danneck, Villingen
Manfred Laible frönt der Leidenschaft des Flanierens, also des weitgehend ziellosen Umherschlenderns, Promenierens oder gar, für Freunde älterer Sprache, Lustwandelns. Diese Mußestunden kann er ohne Probleme mit einer zweiten Leidenschaft verbinden.
Er war begehrter Trauerredner und, seit zwei Jahren im Ruhestand, bestreitet er immer noch zwei bis drei Bestattungen pro Woche. Seine Frau weiß, dass er das braucht.
Was wenige ahnen: Laible nutzt sein Flanieren auch, um aktuelle Eindrücke vom Leben und Treiben des Städtles zu gewinnen oder sich in Bummelpausen in anregende Fachlektüre zu vertiefen.
So versucht er nunmehr schon seit 40 Jahren zum echten Villinger zu werden, vergebens. Allein schon sprachlich wird er von Ur-Villingern sofort als Hergeloffener identifiziert. Doch er übt sich in Gelassenheit und begnügt sich mit dem Lob des Städtles aus der Sicht des Beobachters.
Und so sieht man ihn durch Villingen streifen, auf Bänkle sitzen, einen Kaffee im Riet oder sonstwo genießen oder einige Worte mit alten Bekannten wechseln. Gelernt hat er das Flanieren nicht in Schieberdingen-Watterdingen, wo er prägende Jugendjahre verbrachte, sondern auf Reisen nach Paris, Florenz und Wien. Geboren in Konstanz, versucht er nunmehr schon seit 40 Jahren zum echten Villinger zu werden, vergebens. Also übt er sich in Gelassenheit und begnügt sich mit dem Lob des Städtles aus der Sicht des hergeloffenen Beobachters. Klar, dass während des ereignisarmen Herumschlenderns auch mancherlei Gedanken durch sein Gemüt ziehen, humorvolle, launige und widerborstige.
Manfred Laible auf dem Hubenloch
Sodele, mal wieder beim Theater nuff aufs Hubenloch. Ich bin gern da oben. Nicht zu klein, der Park, nicht zu groß. Verlaufe kannsch dich da nicht. Kaum einer da. Flaniere und uf Parkbänkle sitze isch in Villingen nicht populär. Des macht man eher nicht. Da haben sie als gsagt: Was sitzt der da uff dere Bank rum am hellichte Tag? Was läuft der da im Städtle rum, kauft nix ein und hat keinen Termin. Hat der nix zum Schaffe? Da gibt es kaum Unterschiede zu unseren schaffigen schwäbischen Freunden. Eine solide Grundlage für die Doppelstadt.
Was anderes isch des Herumstehen in Gruppen, am Latschariplatz. Des isch kein echtes Flaniere. Des sind Zugereiste, Flüchtlinge, nein, man sagt Geflüchtete, nein, des isch auch schon wieder unkorrekt, Schutzsuchende. Oder ganz aktuell Menschen mit Fluchterfahrung. Minderheiten. Am Latschari schon Mehrheiten. Die haben wir willkommen geheißen. Die sind geflüchtet. Die könne nicht flaniere. Wenn die gehen, dann wirkt des nicht entspannt. Die suchen was, denen fehlt was. Ich such nix mehr. Nur meine Ruhe. Hat Vorteile.
Früher war mir des Flaniere peinlich. Da hab ich so getan, als hätt ich en Termin. Nervöser Blick auf die Uhr. Oder mal extra interessiert ins Schaufenster vom Juwelier gschaut, auch längere Zeit, sorgenvolle Miene, die Preise, die Preise. Das hab ich lange schon hinter mir. Heute flanier ich völlig ungeniert, geradezu obszön offen, losgelöst. Wenn einer der letzten Stadtspießer schräg guckt, dann kehr ich manchmal um und flanier nochmal an ihm vorbei, grins ihn an und pfeif unausstehlich munter ein Liedle. „Ha, wie will ich triumphieren, wenn sie euch zum Richtplatz führen“, so etwa. Aber ehrlich gsagt, die ehrpusselige Bürger gibt’s kaum noch. Erst sind die Hüte ausgestorben, dann die Bügelfalten, dann sie selber. Heute dominiert Funktionskleidung. Wir sind alle gleich. Jack Wolfskin, hab ich auch an. Nur Sneakers, dazu kann ich mich nicht zwinge. In den letzte Wille hab ich reingschrieben: Bestattung ohne Nike oder Adidas. Barfuß oder Leder.
Im Hubenloch setz ich mich gern uffs Bänkle im Rosengarten oder beim Diegner und les was für meine berufliche Fortbildung. Was viele nicht verstehe: Gerade ein Trauerredner muss ja auf dem Laufenden bleiben. Auch der Tod bleibt nicht stehen, der wandelt sich, da muss man schon mithalte. Lebenslanges Lernen, liest man ja überall. Mark Aurel, Seneca, Pater Anselm Grün, Richard David Precht, Meister Eckardt oder „Yoga-easy gegen Trauer“ – die Szene ist ja vielfältig, bunt, gell.
Heut hab ich die Schimpfpredigten von Abraham a Sancta Clara dabei, Barock-Bestseller, und Krummbiegel, ein Amazon-Renner, „Ich geh dann mal, Sterben für Anfänger“. Der Clara isch wie Underberg, der zweite wie Cola von gestern. Aber kenne muss ich beide.
So, jetzt mal rüber zum Hubenloch-Aussichtsturm. Daneben so ein Trafohäusle. Beschmiert mit Sprüch. Nein, langsam, das nennt man ja Objektkunst. Scheinbar ein Durcheinander, ein Gekleckse, aber … wer genauer hinschaut, des isch Performance. Mindestens. Nur, ich hab noch Probleme beim genauer Hinschaue. Was steht da in Riesenbuchstabe? „Respekt“. Also, des isch doch eine gute Sache, Respekt. Aber trotzdem, wieder, wie ein Reflex, ich guck gleich weg, wenn ich des seh. Wahrscheinlich Kunstbanause. Nur eine Drei damals in BK.
Wunderbar, diese Rosen neben dem Pavillon. Der Duft. Und die Namen: Sweet Honey, Eisprinzessin, Queen Elizabeth. Bald wachse da vielleicht auch „Angela Merkel“ oder „Greta Thunberg“. Muss nicht sein. Kann aber sein. Heutzutags isch alles möglich. Des isch des Schöne an dere neue Welt.
Was isch denn da für ein neues Schild? „Dog Station – Hundekotbeutelspender“. Ja, mein lieber Schieber. „Hundebahnhof“, hoffentlich mit amtlicher Hundekotbeutelspenderschildgenehmigung.
Oh, schon 10 nach 5. Genug flaniert, zurück zum heimische Herd.
Werner Leuthner meint
Und ich dachte immer, Flanieren gäbe es nur in Großstädten wie Wien oder München
(wo ich mich besser auskenne. Siehe ‚Monaco Franze‘)
Nun erfahre ich, dass selbst Villingen zum Flanieren anregt: schön!
Da werden dem Trauerredner eher dem Leben zugewandte Ereinisse begegnen.
Vielleicht überträgt sich seine Gelassenheit ja dann auf die Trauergemeinde(n), vor denen er spricht.
Motto: das Sterben ist garnicht so schlimm – besonders wenn man es hinter sich gebracht hat.